Mehr denn je…

Vor etwa zwei Jahren verfolgte ich gespannt einen live gestreamten Vortrag zum Thema Energiewende, in dem überschlagsmäßig vorgerechnet wurde, wie viele Windräder und PV-Anlagen nötig wären, um den österreichischen Energiebedarf zu decken. Die Zahl der Windanlagen lag bei mehreren zehntausend, zwar sehr groß, aber noch irgendwo vorstellbar. Der Vortragende ließ es sich jedoch nicht nehmen, die Rechnung auch für die ganze Welt anzustellen. Da war es dann mit der Vorstellungskraft vorbei — bei mehreren Millionen Stück von irgendetwas steigt jeder aus.

Auch ich habe diese Einschätzung zum damaligen Zeitpunkt eher an mir vorbeigehenlassen. Erst ein paar Wochen später kam mir das Thema auf eine andere Weise wieder unter und traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich hörte beiläufig, wie jemand behauptete, dass in einem typischen Windrad pro MW etwa 150 Tonnen Baustahl verbaut sind. Ich überschlug die Zahlen. Im Vortrag war von fünf Millionen Windrädern die Rede, jeweils mit 4 MW. Eine erste Kopfrechnung ergab 3 Milliarden Tonnen Stahl — deutlich mehr als die jährliche globale Produktion. Und hier wäre lediglich der halbe Energiebedarf abgedeckt, die zweite Hälfte müsste über PV-Energie realisiert werden. Wie hoch wäre der Bedarf wohl für die gesamte Deckung? Und wie hoch ist die nötige Menge an anderen Massenmetallen?

Mit Unterstützung meiner damaligen Vereinskolleginnen und -kollegen bei den shiftTanks wurden die notwendigen Daten zusammengetragen, um die Rechnung halbwegs sauber durchzuführen. Ich fand auch einige Studien, die ähnliche Rechnungen zum Materialbedarf anstellten. Was mir aber als Metallurge im Hinterkopf schwebte und was ich in dieser Weise nirgends fand, war die Berechnung der CO2-Emissionen, die mit den heutigen Produktionsverfahren unabwendbar sind, wenn man diese enorme Menge an Metallen und Grundstoffen wie Zement bereitstellt. Die Hypothese wurde auf die zeitnahe Deckung zur Erreichung von 1,5 oder 2 Grad ausgeweitet.

Das Ergebnis war damals und ist heute ernüchternd. Ich habe versucht, die Erkenntnisse in lesbare Form zu bringen und in mitternächtlicher Grünschnäblichkeit an ein paar Zeitungen geschickt. Das Nachrichtenmagazin profil war interessiert und hat den Artikel im Mai 2021 auf vier Seiten abgedruckt sowie dauerhaft online zur Verfügung gestellt. Dafür bin ich auch heute noch sehr dankbar.

Die Grundaussage war und ist, dass allein durch die Bereitstellung der Grundstoffe für die Energiewende ein Gutteil des CO2-Budgets für die Erreichung des 1,5 °C-Ziels verbraucht wird. Jede Tonne CO2 die heute emittiert wird müsste demnach auf das Konto der Umstellung unseres Energie- und Wirtschaftssystems gehen — was leider nicht im ausreichenden Ausmaß passiert.

Hier geht es für alle Interessierten zum Artikel.

Für mich haben sich durch die Veröffentlichung des Artikels viele Türen aufgetan und ich habe das Thema mit unzähligen Menschen diskutiert. Leider ist die Grundaussage bis heute nicht wirklich entkräftet worden.

Wie also damit umgehen? Wie geht man motiviert im Sinne des Klima- und Umweltschutzes täglich zur Arbeit, wenn man berechnet hat, dass sich die Abwendung des Klimawandels so nicht mehr ausgeht?

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich bis vor etwa einem halben Jahr nicht sehr zuversichtlich gestimmt war. Das hat sich aber geändert! Mittlerweile treffe ich fast täglich Menschen, die ihr ganzes Wirken in Richtung Nachhaltigkeit bündeln. An jeder Ecke schießen Greentech-Startups aus dem Boden, die Finanzflüsse werden in immer mehr Ländern in grüne Bahnen gelenkt. Es gibt erstmals gesetzliche Auflagen, die spürbar in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Sogar die Schwerindustrie bewegt sich deutlich. Mir scheint, als würden sich alle Bestrebungen, die durch die ständigen Lockdowns nicht so deutlich kommuniziert werden konnten, jetzt gegenseitig multiplizieren.

Ich bin zwar nach wie vor überzeugt, dass vor allem in den nüchternen technischen Disziplinen viel zu wenig in Richtung Nachhaltigkeit gepusht wird, aber die Tendenzen sind mittlerweile nicht mehr zu übersehen!

Kurze Rede, langer Sinn — an der sich derzeit abzeichnenden nachhaltigen Transformation mitzuwirken, wird moralisch, persönlich und wirtschaftlich eine der größten Chancen gewesen sein, die man je bekommen hat.

Be there.

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